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Kanton Zürich soll warme Progression ausgleichen

06. November 2024

Kanton Zürich soll warme Progression ausgleichen

Mit 100:76 Stimmen überwies der Kantonsrat eine Motion von Mario Senn, welche den Ausgleich der warmen Progression verlangt
Mit einer Motion forderte Mario Senn gemeinsam mit den Kantonsräten Tobias Weidmann (SVP, Hettlingen) und Gabriel Mäder (GLP, Adliswil), dass der Kanton Zürich in Zukunft die warme Progression ausgleichen soll. Der Kantonsrat folgte diesem Vorschlag am 4. November 2024 mit 100 zu 76 Stimmen.


Mario Senn begründete seinen Vorstoss wie folgt:


"Wir haben ein progressives Steuersystem. Die Idee hinter der Progressivität ist, dass verhältnismässig einkommensstarke Haushalte mit einem höheren Anteil ihres Einkommens zur Finanzierung des Staates beitragen als einkommensschwache.

Erhöht sich der Lohn, steigt man in eine höhere Progressionsklasse auf, die Steuerbelastung steigt überproportional. Die Progressionsstufen werden regelmässig gemäss der Entwicklung des Landesindexes der Konsumentenpreise (LIK) angepasst. So ist sichergestellt, dass ein allein durch die Teuerung verursachter Anstieg der Nominallöhne – der gar nicht mit einer Kaufkraftzunahme verbunden ist – nicht zu einer höheren Steuerbelastung führt. Dies ist der bekannte Ausgleich der kalten Progression, der im Wesentlichen am 8. Juni 1986 in einer Volksabstimmung so beschlossen wurde.

Aber: Die Löhne steigen nicht nur wegen der Teuerung. Im Gegenteil, die Löhne steigen bei uns heute vor allem wegen Produktivitätsgewinnen. Solche Produktivitätsfortschritte entstehen durch Innovation oder Effizienzgewinne dank intensiverem Wettbewerb. Diese Lohnanstiege werden jedoch derzeit nicht ausgeglichen. Man spricht von der warmen bzw. realen Progression. Der Effekt ist derselbe wie bei der kalten Progression: Die Steuerquote steigt stetig und ohne demokratische Mitwirkung.

Wer aber leidet unter diesen stetigen Steuererhöhungen? Belastet werden der Mittelstand und die unteren Einkommen. Deren Steuerbelastung steigt, obwohl diese Haushalte innerhalb des Lohngefüges nicht aufgestiegen sind. Die höchsten Einkommen sind vom fehlenden Ausgleich der warmen Progression hingegen viel weniger betroffen. Wenn Sie mal beim 13er, der höchsten Progressionsstufe, angekommen sind, steigt die Durchschnittssteuerbelastung kaum mehr. Die warme Progression entfaltet also sozusagen eine degressive Wirkung. Von der eigentlich beabsichtigten progressiven Wirkung bleibt da nicht mehr viel übrig.

Damit kommen wir zur eigentlichen Kernfrage: Was ist der Zweck des progressiven Steuersystems? Geht es darum, dass einkommensstärkere Haushalte verhältnismässig mehr beitragen sollen und eine gewisse Umverteilung erzielt werden soll, oder geht es einfach darum, dass der Staat möglichst viele Mittel erhält?

Für die FDP ist klar: Es geht nicht an, dass die Steuerquote des Mittelstandes und der unteren Einkommensgruppen, die man mit vielen sozialstaatlichen Leistungen entlasten will, stetig erhöht wird.

Die Forderung der Motion ist deshalb denkbar einfach: Künftig soll die reale bzw. warme Progression und nicht nur die kalte Progression ausgeglichen werden. Die Progressionsstufen sollen neu also gemäss der Entwicklung der Nominallöhne, bspw. gemäss Nominallohnindex, angepasst werden und nicht mehr gemäss LIK.

Der Regierungsrat lehnt unsere Motion ab. Also eigentlich lehnt er all meine Vorstösse ab, die ich an die Finanzdirektion richte… Wenn ich es nicht anders wüsste, müsste ich fast annehmen, dass Sie mich nicht mögen, Herr Regierungsrat. Aber so geht es einem wohl, wenn man zur liberalen Opposition gehört.

Der Regierungsrat begründet seine Ablehnung unter anderem mit Mindereinnahmen. Nun, lassen Sie sich davon nicht täuschen. Es wäre nicht so, dass der Kanton beim Ausgleich der warmen Progression plötzlich weniger einnehmen würde. Sondern es wäre einfach so, dass die Einnahmen in Zukunft nicht mehr so stark wachsen könnten.

Wenn der Regierungsrat findet, es brauche für die Ausgaben mehr Mittel, dann soll er dies gut begründen und einen Antrag an den Kantonsrat stellen, aber nicht einfach die breite Bevölkerung mehr abschöpfen.

Weiter weist die Regierung auf den Fall hin, in dem die Teuerung grösser ist als die Nominallohnentwicklung. Ja, das kann es – wie 2021/2022 – tatsächlich geben, ist aber die grosse Ausnahme und auch nicht wirklich relevant: Nominallöhne passen sich immer früher oder später der Teuerung an, allenfalls mit leichter Verzögerung. Der Nominallohnindex hat, vereinfacht gesagt, zwei Treiber: Einerseits die Teuerung, andererseits das Reallohnwachstum. Der LIK, der heute relevant ist für die Anpassung der Tarifstufen, spiegelt hingegen «nur» die Teuerung. Deshalb wäre es irreführend zu behaupten, dass die Steuerzahlenden irgendwie schlechter fahren würden, wenn man statt des LIKs den Nominallohnindex verwenden würde.

Gemäss Regierungsrat ist der Ausgleich der warmen Progression nicht üblich. Deshalb soll der Kanton Zürich sie nicht ausgleichen. In seiner Stellungnahme schreibt der Regierungsrat aber auch, dass der Kanton Zürich der erste Kanton war, der den regelmässigen Ausgleich der kalten Progression einführte. Sehr geehrte Damen und Herren, es wäre mutig, wenn der Kanton Zürich auch hier voranginge. Denn heute ist im Gegensatz zu den 1980er Jahren nicht mehr die Teuerung der Hauptlohntreiber, sondern die Reallohnentwicklung.

Wobei: Andere Kantone sind uns schon voraus, in diversen Kantonen wurde die Regierung beauftragt, entsprechende Vorlagen zu präsentieren. Und auch die nordischen Länder Schweden, Norwegen und Dänemark, die ja alle traditionell sozialdemokratisch dominiert sind, machen dies.

Zusammengefasst kann es nicht sein, dass eine diffuse Angst vor zukünftig etwas weniger stark steigenden Einnahmen ein Grund ist, um das stetige Anwachsen der Steuerquote auf dem Buckel des Mittelstandes aufrecht zu erhalten. Ich lade Sie ein, der Motion zuzustimmen."

Die ganze Debatte kann hier nachverfolgt werden. Der Regierungsrat hat nun zwei Jahre Zeit, um eine Vorlage auszuarbeiten.